18. Oktober 2017 von Dr. Gunter Friedrich

Walt Whitman und die Worte der Erde

Der amerikanische Dichter Walt Whitman (1819-1892) hat ein mehrseitiges Gedicht mit dem Titel „Ein Gesang von der rollenden Erde“ verfasst. Er geht auf die seelischen Ebenen der Erde ein. Das Äußere, Wahrnehmbare ist Ausfluss geistig-seelischer, schöpferischer Kräfte. Es gilt, ihnen zu lauschen. Die Worte der Erde sind anders als die des Menschen. Doch sie möchten vernommen werden, der Sinn der Erde möchte erkannt werden:

… die wahren Worte sind in Erdreich und Meer,

sie sind in der Luft, sie sind in dir.

Menschenleiber sind Worte, Myriaden von Worten.

Luft, Erdreich, Wasser und Feuer – das sind Worte,

ich selbst bin ein Wort wie sie …

Das Werk der Seelen verrichten diese unhörbaren Worte der Erde,

die Meister kennen die Worte der Erde und gebrauchen sie mehr als hörbare Worte.

Tief unter den scheinbaren Lauten …

ruhen die wahren Worte, die nie versagen.

Die wahren Worte versagen nicht, denn Bewegung und Strahlung versagen nicht.

Wer immer du bist! Bewegung und Licht sind eigens für dich …

Denn kein andrer als du bist Gegenwart und Vergangenheit,

denn kein andrer als du bist Unsterblichkeit.

Jeder Mann für sich selbst und jedes Weib für sich selbst ist

das Wort der Gegenwart und Vergangenheit und das wahre Wort der Unsterblichkeit.

Ich schwöre, die Erde wird sicher vollkommen sein für ihn oder sie, die vollkommen sind.

Es kann keine Lehre geben, die etwas taugt, es sei denn, sie bekräftigt die Lehre der Erde.

Alles drängt zur Offenbarung des unausgesprochenen Sinnes der Erde.

 

Quelle: Walt Whitman, Grashalme, Zürich 1985

Foto: Hermann Achenbach

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