
16. Dezember 2015 von Cornelia Vierkant
Solowjews Philosophie der Liebe
Der russische Philosoph Solowjew (1853-1900) schreibt über die Aufgabe der Liebe:
„Der wahre Mensch kann nicht nur Mann oder Weib sein, er muss eine höhere Einheit von beiden sein. Diese Einheit zu verwirklichen oder den wahren Menschen als freie Einheit des männlichen und weiblichen Prinzips zu schaffen, ist eine Aufgabe der Liebe.“
Dem dient es, wenn wir die Menschen so behandeln, als wären sie, wie sie sein sollten.
Weiter sagt Solowjiew:
„Wir wissen, dass der Mensch außer seiner animalischen, materiellen Natur noch eine ideelle hat, die ihn mit der absoluten Wahrheit oder Gott verbindet. So trägt jeder Mensch das Abbild Gottes in sich. Dieses Abbild wird in der Liebe konkret und lebensvoll. Indem die Kraft der Liebe in die Welt übergeht, indem sie die Form der äußeren Erscheinungen umwandelt und durchgeistigt, offenbart sie uns ihre objektive Macht. Wir selbst müssen diese Offenbarung verstehen und Gebrauch von ihr machen, damit sie nicht ein flüchtiger Schimmer eines Geheimnisses bleibt.“
Und hierzu erläutert Solowjew:
Der geistig-physische Prozess der Wiederherstellung des Bildes Gottes in der materiellen Menschheit kann sich keineswegs von selbst vollziehen.
Für den Anfang genügt die passive Empfänglichkeit des Gefühls, dann aber ist der tätige Glaube vonnöten, die Mühe, um sich diese Gabe der lichten und schöpferischen Liebe zu erhalten, sie zu festigen und zu entwickeln, um so mit ihrer Hilfe in sich und in anderen das Bild Gottes zu verkörpern und
aus zwei begrenzten und sterblichen Wesen jeweils eine unsterbliche Individualität zu schaffen und die ihr nicht entsprechende Wirklichkeit umzugestalten.
Das Gefühl der Liebe ist an sich bloß ein Anreiz, der uns eingibt, dass wir die Ganzheit des menschlichen Wesens wiederherstellen können und sollen.
Jedes mal, wenn im menschlichen Herzen der Funke der Liebe entzündet wird, erwartet die gesamte, seufzende und sich quälende Kreatur die erste Offenbarung der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Diese Hoffnungen werden erst dann in Erfüllung gehen, wenn wir bereit sind, alles das restlos anzuerkennen und bis zu Ende zu verwirklichen, was die wahre Liebe verlangt.
Im Menschen gibt es neben seiner animalischen Natur sowie dem sozial-sittlichen Gesetz noch ein drittes, hohes Prinzip, ein geistiges, mystisches oder göttliches. Dieses Prinzip ist auch auf dem Gebiet der Liebe der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der aber der wahre Eckstein ist. Er besteht darin, dass man einem anderen Wesen die unbedingte Bedeutung zuerkennt.
Was heißt es eigentlich, an die unbedingte und damit zugleich unendliche Bedeutung einer individuellen Person zu glauben?
Einer gegebenen Person unbedingte Bedeutung zuzuerkennen oder an sie zu glauben (wahre Liebe ist ohne das nicht möglich), kann ich nur, indem ich sie in Gott bejahe, folglich, indem ich an Gott selbst und an mich als an jemanden glaube, der den Mittelpunkt und die Wurzeln seines Seins in Gott hat.
Unser Anliegen ist, sofern es wahr ist, das gemeinsame Anliegen der ganzen Welt: die Durchgeistigung der Materie. Sie wird durch den kosmischen Prozess in der natürlichen Welt vorbereitet, durch den geschichtlichen Prozess in der Menschheit fortgesetzt und vollendet.
Die Welt hat uns ebenso nötig, wie wir sie. Das All ist seit Ewigkeiten an der Erhaltung, Entwicklung und Verewigung alles dessen interessiert, was für den Menschen wirklich nötig und wünschenswert ist. Es bleibt uns nur übrig, möglichst bewusst und tätig am Wachstumsprozess des inneren Menschen teilzunehmen, für uns selbst und für alle anderen.
Dem wahren Sein stellt sich in unserer Welt das stoffliche Sein entgegen. Hierdurch entwickeln wir seelische Stärke.
Finden wir den Weg, der uns der wahren Lebensaufgabe entgegenführt, das Bewusstsein, als Mensch vor allem ein Seelenwesen zu sein, das sich mit dem Geist verbinden kann, und daraus für sich und andere lebt.
Abb.: Wladimir Sergejewitsch Solowjow aus Wikipedia
1 Kommentar
Klaus
Vielen Dank für das Filtern aus seinen nur selten leicht verständlichen Werken.
So leuchtet mir jetzt auch ein, welcher Einfluss Dostojewski mit zu seinem Allmensch gebracht hat. Solowjew war die letzten Jahre ja ein guter Freund Dostojewskis.
Danke.
http://www.dostojewski.eu