
1. März 2017 von Jean Pierre Weber
Gedanken zur Winterreise
Franz Schubert hat Wilhelm Müllers Winterreise in einem wunderbaren Liederzyklus vertont.
Das Gedicht „Gute Nacht“ aus der „Winterreise“ lautet:
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh‘ ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumenstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh‘, –
Nun ist die Welt so trübe,
Der Weg gehüllt in Schnee.
Ich kann zu meiner Reisen
Nicht wählen mit der Zeit,
Muß selbst den Weg mir weisen
In dieser Dunkelheit.
Es zieht ein Mondenschatten
Als mein Gefährte mit,
Und auf den weißen Matten
Such‘ ich des Wildes Tritt.
Was soll ich länger weilen,
Daß man mich trieb hinaus?
Laß irre Hunde heulen
Vor ihres Herren Haus;
Die Liebe liebt das Wandern –
Gott hat sie so gemacht –
Von einem zu dem andern.
Fein Liebchen, gute Nacht !
Will dich im Traum nicht stören,
Wär schad‘ um deine Ruh‘.
Sollst meinen Tritt nicht hören –
Sacht, sacht die Türe zu !
Schreib im Vorübergehen
Ans Tor dir: Gute Nacht,
Damit du mögest sehen,
An dich hab‘ ich gedacht.
Wilhelm Müller, Winterreise
Gedicht und Lied lassen uns das Wandern durch die irdische Lebenssphäre mit all ihren Seiten empfinden.
– Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh‘ ich wieder aus. –
Manche fühlen sich auf der Erde heimisch, andere nicht.
Die Geburt wird zwar von Eltern, Freunden und Verwandten als große Glückseligkeit gefeiert, aber auch das ist nicht immer der Fall.
Frauen, denen Leid angetan wurde, freuen sich selten über eine eventuell folgende Schwangerschaft und Geburt.
Wie ambivalent ist die Sexualität! Wie sehr ist sie Abbild des Lebens.
Die Liebe, die Ehe, welche Spannweite an Verwirklichung oder Unterdrückung, an seelischem Höhenflug oder beklemmender Enge!
Wählen wir unsere Zeit für die Inkarnation selbst oder sind es Gesetze, die unser Wesen in die Verstofflichung drängen?
Spüren wir seelische Begleitung während unseres Lebens, erahnen wir das Wirken geistiger Kräfte oder hadern wir mit dem, was uns geschieht?
Wer sich nicht treiben lassen will, muss sich zu einem Weg entscheiden, er kann von hohen Möglichkeiten Gebrauch machen oder ausgetretenen Bahnen folgen. Schatten werden ihn immer begleiten.
Je bewusster er seinem Innersten folgt, umso leichter wird es ihm, diese Erde wieder zu verlassen. Irre Hunde mögen heulen, sagt das Gedicht.
Das Wandern durch die Zeit, durch die Inkarnationen ist ein Wandern durch das eigene Wesen. Es lehrt uns alles Wissen, denn es wird von der göttlichen Liebe begleitet. Sie ruft und führt in höhere Sphären des Daseins.
Während die einen bewusst ihren Weg wählen, sind andere wie Traumwandler, die irgendwann aufwachen und sich die Augen reiben. Auch sie können erstaunt ausrufen: „Ja, da ist göttliche Führung.“ Doch tun, worauf es in unserem Leben ankommt, das müssen wir selbst.
Foto von Regina Doege
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