
31. Dezember 2014 von Hermann Achenbach
Die Verkündung der Botschaft der Rosenkreuzer-Manifeste
Im Jubiläumsjahr 2014 zum Erstdruck der Fama Fraternitatis erschien ein außerordentlich reichlich bebilderter Ausstellungskatalog der Bibliotheca Philosophica Hermetica. Lesen Sie hier einen Artikel über die Verkündung der Manifeste. Zu beziehen ist das Buch beim DRP – Rosenkreuz – Verlag für 30,00 €. Bestellung hier:
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Vor vier Jahrhunderten, im März 1614, erschien in Kassel ein kleiner Band, der drei Werke beinhaltete: die Allgemeine und General Reformation, der gantzen weiten Welt. Beneben der Fama Fraternitatis, deß Löblichen Ordens des Rosenkreutzes, an alle gelehrte und Häupter Europae geschrieben. Auch einer kurtzen Responsion, von dem Herrn Haselmeyer gestellet.
Die Allgemeine und General Reformation ist die Übersetzung eines Stücks aus Ragguagli di Parnaso, einer einflussreichen Satire von Traiano Boccalini (1556-1613); die Fama Fraternitatis erzählt die Geschichte eines legendären Helden, „Frater R. C.“, der auf der Suche nach wundersamem Wissen den Orient bereiste und nach Deutschland zurückkehrte, um eine Bruderschaft zum Nutzen der Menschheit zu gründen; Adam Haslmayr (ca. 1560-1630) schließlich, der Autor der „Kurtze Responsion“, war ein Anwalt der Bruderschaft und ein begeisterter Leser der Fama Fraternitatis, die als Manuskript im Umlauf gewesen war, bevor sie – ungenehmigt – erstmals 1614 veröffentlicht wurde. Haslmayr hatte tatsächlich eine Antwort an die lobwürdigen Brüderschafft der Theosophen von RosenCreutz verfasst, bevor die „Bruderschaft“ gewissermaßen formal existierte: Seine Antwort wurde 1612 veröffentlicht, zwei Jahre bevor die Fama Fraternitatis ins Licht der Öffentlichkeit gebracht wurde.
Eine politische Satire, ein Märchen voller magischer Anspielungen und eine jubelnde Antwort: der Kern dieses dreiteiligen Buches ist aber die Abhandlung in der Mitte, die Fama Fraternitatis, der Ruf der Bruderschaft des Ehrenwerten Ordens des Rosenkreuzes, gerichtet an „die Häupter, Stände und Gelehrten“ Europas. Die Fama Fraternitatis ist ein Aufruf zu nichts weniger als einer „allgemeinen Reformation“ der Welt. Dieser Weckruf ging nicht unbeachtet vorüber – er entfesselte eine wahrhafte Flut von Antworten, hauptsächlich in Deutschland, aber auch in anderen Teilen Europas, sowohl für als auch gegen die Bruderschaft. Die Überschriften der Reaktionen enthielten Begriffe wie „Beurteilung“, „Vorsicht“, „Zweifel“, „Prophetie“, „Belehrung“, „Erwägung“ und „wunderbare Neuigkeiten“, Worte also, die darauf hindeuten, dass die Fama Fraternitatis, unabhängig von den – wohlwollenden oder ablehnenden – Ansichten ihrer Leser, öffentliches Aufsehen erregte. Obwohl die Fama selbst anonym veröffentlicht worden war – als Produkt einer bis dato unbekannten Bruderschaft –, nannten viele der Antwortenden ihren Namen. Andere benutzten nur ihre Initialen, während einige ihre wahre Identität hinter fantasievollen Pseudonymen verbargen, wie zum Beispiel „Vito del capo dela bona speranza“ (Vito vom Kap der Guten Hoffnung). Vor 1660 waren mehr als 700 Antworten in gedruckter Form (Pamphlete, Sendschreiben etc.) erschienen.
Einer der Schreiber, Gottlieb Hoffmann mit dem Pseudonym Theophilus Philaretes, war der Bruderschaft des Rosenkreuzes gewogen, jedoch skeptisch hinsichtlich des Verlaufs ihres Vorhabens; er führte in Pyrrho Clidensis (1616) aus:
Ich habe einige Befürchtungen hinsichtlich der Reformation der ganzen Welt, so wie Sie sie beabsichtigen; es ist ein Spiel mit hohem Einsatz. Nicht nur die Philosophen und Ärzte, sondern auch die Obrigkeit und die Theologen werden gegen Sie Sturm laufen. Jedoch versichere ich Ihnen, dass Sie einen guten Freund in mir haben.
Die Rosenkreuzer-Manifeste berührten nicht nur eine Saite, sie trafen einen Nerv. Die erste stark negative Reaktion kam von Mitgliedern der medizinischen Berufe, die in den Autoren der Rosenkreuzer-Manifeste gefährliche Experimentierer und Anhänger des Schweizer Medizinreformers Paracelsus (1493-1541) sahen. Dann kamen die Theologen, die in der Rosenkreuzer-Bruderschaft eine neue und potenziell gefährliche Sekte sahen, die die Religion weniger reformieren als „deformieren“ wolle. Die nicht fassbare Bruderschaft wurde sogar vor Gericht zitiert. Obwohl die ersten Ausgaben der Rosenkreuzer-Manifeste vom Hofdrucker Wilhelm Wessel mit der ausdrücklichen Genehmigung von Landgraf Moritz von Hessen-Kassel (1575-1632) gedruckt worden waren, der auch bekannt war als „Maurice der Gelehrte“ (seine intellektuelle Neugier erstreckte sich auf viele Wissen-schaften bis hin zur Alchemie), brachte derselbe Herrscher Anfang des Jahres 1620 in der Stadt Marburg das in Gang, was als erster Rosenkreuzer-Prozess bezeichnet werden kann. Einer der Angeklagten war Philipp Homagius, der Schwiegersohn des Druckers der Manifeste, ein begeisterter Anhänger von Paracelsus und der Rosenkreuzer-Bruderschaft. Homagius wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er sich weigerte, seine Meinung aufzugeben, dass die Rosenkreuzer die „wahren und höchst erleuchteten perfekten Christen“ sind. Von den Ärzten war ihm Unzurechnungsfähigkeit attestiert worden. Homagius war nicht der Einzige, der die Behörden verärgerte. Ein gewisser Philipp Homburg wurde ungefähr zur gleichen Zeit einem Verhör unterzogen und gefragt, ob er auf der Frankfurter Buchmesse Bücher der Rosenkreuzer-Bruderschaft gekauft habe. Die ihn Vernehmenden wollten auch wissen, welchen Plan die Bruderschaft hat und welche Menschen man in ihr antrifft. Es gab offensichtlich Ängste hinsichtlich einer Untergrundbewegung von Rosenkreuzer-Aktivisten die, wenn auch nicht zur Machübernahme bereit, doch als gefährlich eingestuft wurden und überwacht werden müssten.
In Wirklichkeit gab es aber wenig zu überwachen oder „im Fleisch“ zu unterdrücken. Die Rosenkreuzer-Bruderschaft sprach die Vorstellungskraft an, und wenn sie von Freund oder Feind aufgefordert wurde, sich zu zeigen, blieb sie unsichtbar und der Welt blieb nur die Spekulation. Die Aufregung, die sich von Deutschland aus in die gerade entstehende niederländische Republik, nach Frankreich, Schweden und England verbreitete, klang nicht so einfach ab. Das Wort „Rosenkreuzer“ wurde unvermeidlich zum Synonym für alles, was die Orthodoxie verabscheute. Fünfzig Jahre später übersetzte Heinrich Ammersbach, ein höchst unorthodoxer evangelischer Pfarrer in Jena, die berühmten Worte von Johann Gerhard (1582-1637):
Wer heutiges tages die Gottseligkeit fleissig treibt, und beydes auff die Wissenschaft und Ubing zielet, der muss alsobald ein Ketzer, Rosenkreuzer, Weigelianer, wie ich das meines Theils auch erfahren müssen (…) O blindheit! Lernet zuvor, ihr Lästerer, was ein Weigelianer, Rosen-Creuzer, so werdet ihr anders urtheilen.
Valentin Weigel (1533-1588) war ein deutscher Theologe, der eine „innere Kirche“ gegenüber der Orthodoxie, Weigelianern und Rosenkreuzern verteidigte. Weigelianer und Rosenkreuzer wurden als Gegner der etablierten Kirche pauschalisiert. Weitere Theologen, die von der Orthodoxie bezichtigt wurden, eine eigene Bewegung ins Leben gerufen zu haben, waren Caspar Schwenckfeld (um 1490-1561) und Johann Arndt (1555-1621), Autor der Vier Bücher vom wahren Christentum. Arndts Betonung einer mystischen Pietät war verdächtig, weil man fürchtete, er animiere die Menschen dazu, vom geraden Pfad der Lutherischen Orthodoxie abzuweichen.
Aufgrund dessen betrachtete Lucas Osiander (1571-1638), der 1620 zum Kanzler der Universität von Tübingen ernannt wurde, ihn als Gehilfen des Teufels („inter diabolos ministros“).
Marburg war der Schauplatz des ersten Rosenkreuzer Prozesses. Tübingen, noch heute eine lebendige Studentenstadt in Baden-Württemberg, ist jedoch der Ort, an dem die Rosenkreuzer-Manifeste sozusagen ihre Muttermilch bekamen. In Tübingen gründete Graf Eberhard (1445-1496) im Jahr 1477 eine Universität, die heute Eberhard Karls Universität genannt wird. Sie ist heute wie damals bekannt für ihre herausragenden Leistungen auf den Gebieten der Medizin, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften.
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