
13. Februar 2013 von Silke Kittler
Das Meer
Ich selbst kann mir im Grunde nicht erklären, warum das Meer eine solche Faszination auf mich ausübt. Es spricht zu mir, mit leiser, ernster Stimme, und jeder neue Aspekt, den ich an ihm entdecke, versetzt meinen Geist in sympathetische Schwingungen, so wie die zarten Borstenhaare einer Krabbe noch die feinste Bewegung des Wassers registrieren.
Dies sind Worte von James Hamilton-Paterson, Journalist, Lyriker und Sachbuchautor aus seinem Buch Vom Meer.
Daran schließe ich meine Gedanken, warum auch mich das Meer fasziniert.
Der Traum vom Meer
Immer wieder geschah es mir in den vergangenen Jahren: Ich träumte des Nachts vom Meer. Ich freute mich darauf, in das Meer einzutauchen. Jedes Mal erwachte ich, bevor ich das türkise, erfrischende Nass erleben durfte. Und ich war enttäuscht.
Die Sehnsucht blieb.
Die Sehnsucht wonach?
Die Sehnsucht nach Erfüllung.
Warum soll gerade das Meer erfüllen?
Um welche Erfüllung soll es sich handeln?
Steht das Meer nicht für etwas Großes?
Es ist Symbol für das Wasser der Genesung, für eine Gesundung, von der wir kaum eine Vorstellung haben – es ist Symbol für „lebendes“ Wasser. Dieses bewirkt kein Gesundwerden, wie es im üblichen Sinne verstanden wird, sondern eine Heilung nach Körper, Seele und Geist.
Wir verlangen nach diesem Meer.
Aber benötigen wir nicht auch Mut, um dort hineinzusteigen? – Und Demut?
Im vergangenen Jahr schwamm ich seit langer Zeit einmal wieder im Meer. Es war sehr salzig, aber beinahe ohne Wellen. Ich überlegte: Was ist das Besondere am Baden im Meer? Ist es eine Sehnsucht, wieder dort zu leben, wo „ich“ in einer vergangenen Inkarnation mein Leben verbracht hatte? Ich kam zu dem Schluss: Das Meer soll uns daran erinnern, dass es ein genesendes Wasser zur wahren Heilung gibt.
Wirst du nicht fleißig baden, die Hochzeit kann dir schaden.
Diesen Reim finden wir in Die alchymische Hochzeit des Christian Rosenkreuz von Johann Valentin Andreae, Theologe, Schriftsteller und Mathematiker aus dem 16./17. Jhd. – Unsere Gedanken und Gefühle müssen gereinigt werden, ehe wir uns auf den Weg zur „Heiligen Hochzeit“, der Vereinigung mit unserem tiefsten Inneren begeben können.
Die Annahme des Schicksals
Vor nicht langer Zeit träumte ich erneut vom Bad im Meer. Ich ergab mich dem sanften Wasser, hatte keine Angst vor den großen Wellen, sondern ließ sie sich über mich ergießen.
Der Traum spiegelte mir mein Leben wieder:
Ich ergab mich einem neuen Schicksal, das ich mir immer gewünscht und doch zugleich unbewusst abgewehrt hatte, das somit unerfüllt geblieben war.
Einem weltlichen Schicksal, dessen tiefe Symbolik ich spürte, einem Schicksal, das neue Erkenntnis schenkt.
Das Leben spiegelt uns ja uns selbst wieder, bis wir erkennen, dass wir erkannt werden – von Gott.
Das Leben enthält Schicksalsabläufe, die genau zu uns passen. Je mehr wir sie annehmen, desto mehr werden sie unser Freund.
Der Kampf gegen das Schicksal steht zum Akzeptieren des Schicksals wie dichte Wolken zur Klarheit des Himmels, wie eine umwölkte Stirn zu einer klaren Stirn.
Das Schick-Sal wird uns geschickt.
Es will uns den Weg zum Finden unserer Berufung – zu unserem wahren „Beruf“ – weisen, es trägt den Ruf zum Meer der Erfüllung in sich – zur Genesung von Geist, Seele und Körper.
Gemälde von Bettina Runge
Schreibe einen Kommentar