21. Juni 2017 von Dr. Gunter Friedrich

Meditiere ich? Eine rosenkreuzerische Sicht

„Niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel herniedergekommen ist …“ (Joh. 3, 13). In diesen Worten finde ich den Schlüssel für das Meditative.

Bin „ich“ vom Himmel herabgekommen? Die Antwort fällt leicht: Nein, ich bin ein Kind der Erde. Aber Meditation – strebt sie nicht letztlich „zum Himmel“, was immer man unter Himmel und Meditation verstehen mag? Wirkt im Meditativen nicht das Verlangen, Höheres zu erschließen?

Wenn ich meditiere, in einer der zahllosen Formen, die es von Ost bis West gibt – kann sich mir dadurch die Himmelstür öffnen?

Dazu müsste ich aus dem Himmel herabgestiegen sein. Wenn ich dann an die Tür klopfte und ein Himmlischer mich fragte: „Wer ist da?“, könnte ich antworten „Du bist es, Du, der eins ist mit mir, dem ebenfalls Himmlischen“. Dann würde sich die Tür öffnen. Rumi, der große islamische Mystiker, beschreibt dies in seinem Mathnawi.

Ist denn gar nichts von mir „vom Himmel“? Seit meiner frühesten Kindheit habe ich die Empfindung, hier nicht zu Hause zu sein. Ich habe gesucht und tatsächlich etwas gefunden: da ist doch Himmlisches in mir. Aber es ist ganz anders, als ich es bin.

Da ist eine verborgene Dimension, und sie ist nach langem Suchen und Bemühen lebendig geworden. Sie will dorthin, wo sie herkommt, wo ihr Lebensbereich ist.

Etwas vom „Himmel“ teilt sich mir mit.

Ich erlebe allerdings Schleier, die den Weg dorthin verhüllen. Es gibt Gebiete in mir und in der Welt, die sich vor der Tür zur geistig-seelischen Welt ausbreiten. Sie spiegeln meine Wünsche wider und sind bevölkert von unterschiedlichsten Kräften, die zu mir Kontakt aufnehmen. Sie wollen teilhaben an meiner Lebensenergie und bieten mir dafür allerlei an von dem, was man in der Welt erkennen und erleben kann. Sie knüpfen an meinem Empfinden, meinem Denken und Wollen an.

Immer klarer nehme ich wahr, wie diese Schleier ins Bewusstsein hineinwirken.

Das lässt mich Meditation mit anderen Augen sehen. Wenn ich Energien aufrufe, allein oder in Gruppen, um sie für mich oder andere wirken zu lassen, gelingt das durchaus. Aber stimmen diese Energien mit der göttlichen Sphäre überein? Ist mein Wille oder der in der Gruppe wirkende Wille zugleich Wille der göttlich-geistigen Sphäre? Wo liegt die Motivation für mein Bemühen? Erschöpft sie sich darin, dass ich als Irdischer darum bitte, das oder jenes auf der Erde zu verbessern?

Zahllose Menschen sprechen die Worte „Dein Wille geschehe“ und erbitten konkrete Dinge für sich oder andere oder die Menschheit insgesamt.

Solche Hinwendungen dürften ein Echo finden in den Gebieten, die ihren Motivationen entsprechen. Sie rufen in den feinstofflichen Sphären des Kosmos Spiegelungen hervor. So geschieht es, dass sich die Menschen in den Kosmos projizieren, im Inneren wie im Äußeren, und dass widerspiegelnde Sphären ihnen antworten.

Meine Sehnsucht und mein innerer Kompass suchen etwas anderes. Sie suchen ein Übergangsgebiet zu den Geist-Seelenwelten, eine Entsprechung zu meinem Innersten, ein „Gebiet der Meditation“. Ein solches Gebiet habe ich in der Wirksamkeit einer Gruppe Gleichgesinnter gefunden. Meditiere ich hier? Ich öffne mich, höre einer Ansprache zu, singe bei Liedern mit, besinne mich, lasse Gehörtes und Empfundenes nachklingen, trete in die Stille ein. Und ich merke, dass dabei auf zwei Ebenen etwas stattfindet. Neben dem, was ich unmittelbar erlebe, vollzieht sich noch ein paralleles Geschehen, findet ein Wachstum statt wie bei einer Schwangerschaft. Das Göttlich-Geistige, die höhere Dimension in mir tritt in Resonanz mit dem universellen Göttlich-Geistigen. Etwas davon spüre ich, das Entscheidende aber wohl nicht oder nur manchmal und sehr undeutlich.

Das Johannesevangelium spricht von einer Wiedergeburt „aus Wasser und Geist“. (Joh. 3, 5) Das Göttlich-Geistige in mir kann erwachen und schließlich eine „Auferstehung“ erleben. „Wasser“ und „Geist“ – Meditation ist für mich die Kommunikation zwischen diesen beiden, zwischen der gereinigten, erneuerten Seele (dem „Wasser“) und dem Geistwesen in meinem Innersten. Sie findet ganz selbstverständlich statt im „Gebiet der Meditation“. Ich lasse mich durchspülen von den Kräften dieses Übergangsgebietes, von diesen Tempelkräften. Sie wecken neue Organe in mir, so wie die Sonne einst die menschlichen Augen entstehen ließ. Und ich versuche, diese Kräfte in meinem Leben anzuwenden.

Wenn hierbei das Wasser zu Wein wird, wie bei der schönen Geschichte der Hochzeit zu Kanaan, bedeutet dies die Entstehung eines neuen Bewusstseins. Die erneuerte Seele sieht immer deutlicher, was stattfindet, hier auf der Welt und in den geistig-seelischen Gebieten. Sie vertieft ihre Beziehung zum innersten Geistwesen. Sie wird zu einer Liebesbeziehung. Ich bin nach wie vor „Erdreich“ und ermögliche dieses Wachstum, ermögliche die Meditation, diese Kommunikation des Seelischen mit dem Göttlich-Geistlichen, sterbe gleichsam in sie hinein, damit der „Andere“, der Himmlische seine Auferstehung erlebt.

 

 

Foto: Christel Achenbach

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