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26. April 2011 von Ofelia Robles

Fausts Erlösung

Faust wird nach der Sicht der meisten Interpreten von Goethes Drama deshalb erlöst, weil er „immer strebend sich bemüht“ habe. Dabei beachtet man nicht den vollständigen Text, der eine weitere, gerade heute wesentliche Deutung nahe legt. Ich möchte sie als den „weiblichen“ Aspekt bezeichnen.

Die Engel sprechen die Worte:

„Gerettet ist das edle Glied
Der Geisterwelt vom Bösen:
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen.
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teilgenommen,
Begegnet ihm die selige Schar
Mit herzlichem Willkommen.“ (Verse 11934-11941)

Die Liebe ist es also, die erlöst, die Liebe der vom Selbstischen gereinigten Seele, die sich, wie Gretchen, der Transzendenz geweiht hat und der Person nach unterzugehen bereit ist. Sie flüchtet nicht aus dem Leben, sie nimmt das göttliche Gesetz an, weiht sich ihm und gibt sich hin – dadurch überwindet sie den im Leben ständig strebenden Faust, der nordisch-männlich das Leben als Kampf ansieht, dem man sich entsprechend mit eisernem Willen gerüstet zu stellen habe. Ernst Bloch nennt diesen Willen auch den „Kältestrom“ .

Woher stammt aber der Wille? Ebenso wie das Gedankenleben des Menschen stammt er aus vergangenen Erfahrungen, ist also dem Alten verbunden. Die Liebe jedoch vermag als „Wärmestrom“ die menschliche Seele für Neues, für die göttliche Kraft zu öffnen und den inneren Quell und die Schöpfungskraft im Menschen freizusetzen.

Das Streben, so macht Goethe deutlich, ist also nur eine Bedingung für die Erlösung. Erreicht wird das Ziel durch die Liebe.

Der Faust-Text macht dies sehr deutlich:

„Jene Rosen aus den Händen
Liebend-heiliger Büßerinnen,
Halfen uns den Sieg gewinnen,
Und das hohe Werk vollenden …“ (11942-11945)

In der Folge erscheint eine Schar zum Himmel emporschwebender Frauen, in deren Mitte Faust im Sternenkranz die Himmelsgöttin Maria – Symbol für die gereinigte, den Ich-Bestrebungen enthobene Seelenkraft – erkennt:

„Höchste Herrscherin der Welt!“ (11997)

Dazu kommentiert Rudolf Steiner:

“ … Gretchen: in ihr ist jene Unschuld, die im Mysterium des Menschen eingeschlossen ruht, und ihre Liebe ist ewiger Dauerstern. Will man das in einer Imagination ausdrücken, so kommt man zu der Mater Dolorosa-Gloriosa. Sie … sieht nicht auf die Schuld …, sondern auf dasjenige, was … (im Menschen) unschuldig-schuldig ist.“‚

Und weiter:

„Goethe ist der Verkünder des Liebesevangeliums, der Verehrer des Ewigweiblichen in höchster Reinheit. … Sein sittigender Einfluß ist der selbstloser Herzenswärme in einer selbstischen Welt. Dies, sein Evangelium, ist hier nur als Marienkult christlich stilisiert.“

In der Folge lässt Goethe Maria Magdalena erscheinen, zu der Christus laut Lukas 7 die Worte sprach: „Ihr sind viel Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt.“ Und ferner die Samariterin, mit der er am Brunnen zusammentraf (Joh. 4):

„Bei der reinen, reichen Quelle,
Die nun dorther sich ergießet,
Überflüssig, ewig helle,
Rings durch alle Welten fließet“ (12049 – 1252)

Schließlich und endlich aber erscheint die reine Seele Gretchens (12065 ff), die sich Fausts Seele zuneigt und, da dieser strebend seinen Erfahrungsweg gegangen ist („dieser hat gelernt“ – 12082), ihn ätherisch aufnimmt und weiterleitet (12094/5). Der Chorus Mysticus beschließt das Geschehen – und damit auch die Tragödie – mit den Worten:

„Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird’s Ereignis;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist’s getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.“ (12104 – 12110)

Goethe verkündet die ewige Weisheit, die Sophia der Gnostiker, dass die Widerspiegelungen der Kräfte dieser Welt im Denken des Menschen durch die Einswerdung mit der Liebeskraft des Christus aufgehoben und gelöscht werden. Was den Menschen in die Erfüllung hinauf hebt, ist letztlich die Liebe:

„Goethe meint jenes Tiefe, was die Menschenseele darstellt dem Weltgeheimnis gegenüber, das, was sich sehnt als das Ewige im Menschen … Das Makrokosmische, das Ewige des Weiblichen, zieht hinan.“
(Rudolf Steiner)

Die „Natur-Entsteigung“, die Überwindung der niederen Natur, ist Ausfluss des männlichen faustischen Strebens und Heilbegehrens, doch sie stellt nur eine Bedingung für die Erlösung, (die Goethe in den Schlussversen „Ereignis“ nennt) dar. Die Vollendung erfährt der suchende Mensch durch das Ewig-Weibliche der vom Selbstischen gereinigten Liebe, die ihm „von oben“ zuteil werden kann. Dieser weibliche Aspekt des Weges ist der wichtigste gerade in unseren Tagen, in denen nichts Äußeres, Altes mehr Bestand hat.

Diese Liebe, zu der auch ein geläuterter Seelenmensch fähig ist, vermag Programmierungen und Konditionierungen, hinter denen sich auch Angst versteckt, aufzulösen. Sie lässt uns zur großen Freiheit hinwachsen:

„Denn sobald man die reine Lehre und Liebe Christi, wie sie ist, wird begriffen und in sich eingelebt haben, so wird man sich als Mensch groß und frei fühlen … Auch werden wir alle nach und nach aus einem Christentum des Wortes und Glaubens immer mehr zu einem Christentum der Gesinnung und der Tat kommen.“ (Steiner)

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