
7. Juli 2010 von Silke Karwowski
Ein erschütterndes Erlebnis
Vor ungefähr 17 Jahren hatte ich ein zutiefst erschütterndes Erlebnis. Es führte mich eigentlich an den Tod heran, aber auch an etwas Neues, eine Geburt. Danach fühlte ich mich selber wie neu geboren, wie erneut inkarniert. Was in der Zeit, die vorangegangen war, geschehen war, daran erinnerte ich mich erst wieder später …Ich übergab mich völlig dem, was auf mich zu kam, und ich hatte gar keine Angst. Es war einfach nur Urvertrauen da. Ich hatte nicht einmal Gedanken. Das Ereignis, das mich damals ereilte, ist ein tief menschliches, man kennt es, und doch erlebt es jeder wieder anders: die Geburt eines Menschenkindes.
Es ist das Großartigste, was der Körper vollbringen kann, einem anderen Wesen Leben zu schenken. Eine gewaltige Arbeit geht dem allem voran. Zahlreiche neue Hormone wirken zusammen. Das Bewusstsein der werdenden Mutter verändert sich. Sie empfindet vieles wie im Traum, wie in einer Trance, sie befindet sich sogar wie in einer Ohnmacht.
Das neugeborene Kind ist aus einer ganz anderen Welt gekommen, aus einem anderen Zustand. Woher kommt es? War es ein „Engelchen“, das „vom Wolkenrand herunter auf unsere Welt schaute“? Kommt es von einem anderen Planeten? Kommt es aus dem Totenreich, um wieder unter die Lebenden zu gehen? Hat es nicht schon viele Leben hier auf unserem Planeten verbracht? Hat das Wesen einfach nur wieder seinen Zustand gewechselt?
Das Menschenkind wird durch den Geburtskanal nach außen gedrängt. Geht nicht ein Sterbender auch durch einen langen, dunklen Tunnel, an dessen Ende ein Licht leuchtet? Fühlt er sich nicht auch geborgen, so wie eine Gebärende?
Bei der Geburt eines Kindes hat die werdende Mutter keine Herrschaft mehr über ihren Körper, sondern die Tatsache der Geburt beherrscht ihren Körper. Sie gibt sich der Geburt hin. Sie selber gibt sich preis. Sie nimmt sich nicht mehr wichtig. Sie hat keinen eigenen Willen mehr. Und doch setzt sie alles daran, um dem Kind Leben zu schenken.
Wir können hierin ein ganz wunderbares Gleichnis sehen. Der Mensch kann in sich den ursprünglichen göttlichen Keim zum Wachsen anregen. Der Körper und alle seine Bestandteile dienen dem werdenden Anderen in ihm, er ordnet sich ihm unter, übergibt sich dem Neuen in ihm, bis das Licht in ihm geboren wird. Ist der Lichtmensch entstanden, wird alles anders, neu, unvorstellbar. Es lässt sich in keine uns bekannte Vorstellung hinein zwängen. Eine Schwangere weiß auch nicht, wie ihr Kind einmal aussehen wird.
Wir kennen die Freude und die leuchtenden Augen einer werdenden Mutter. Ein Mensch, der in sich den Lichtmenschen entstehen lässt, ist auch vor Glück strahlend. Er stellt sich immer wieder in das Lichtfeld, um den Anderen in sich zu nähren, so wie eine Schwangere ihr werdendes Kind ernährt.
Eine werdende Mutter muss auch Unpässlichkeiten über sich ergehen lassen. Der Mensch, der in sich den göttlichen Keim heranbildet oder, besser gesagt, heranreifen lässt, macht ebenso Durststrecken durch, zum Beispiel Einsamkeit, Hindernisse, die überwunden werden müssen, Sackgassen-Erfahrungen, Seelennöte, Bewusstseinstrübungen. Der Bau des neuen Körpers geht nicht ohne harte Arbeit vonstatten.
Durch Hingabe, Übergabe und Aufgabe – ich gebe auf, ich kann nicht mehr (das alte tun), ich bin am Ende – wird dem Bauwerk immer wieder ein neuer Stein hinzu gefügt. Im Embryo werden zuerst Zelle für Zelle ausgebildet, später entstehen aus den Zellen Organe, bevor der ganze Organismus fertig gestellt wird. Schließlich, wenn das Kind geboren ist, können wir es mit unseren fünf Sinnesorganen begrüßen und wahrnehmen.
Erst, wenn das Neue, das Andere, der Lichtmensch in uns geboren ist, wird es uns neu-bewusst, dass Er da ist.
alte Abbildungen; Fotos: Hermann Achenbach
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