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3. Februar 2010 von Christa Zuch

Die Stille

Wenn ich an Gott denke, sehne ich mich nach der Stille. Ich meine nicht das äußerliche Ruhig sein. Es ist die innere Stille, die ich erhoffe und suche, der mein ganzes Verlangen gilt. Doch da sind die Gedanken, die ungewollt kommen und Besitz von mir ergreifen, Gedanken, die keinerlei Wert haben. Im Gegenteil, ich frage mich: Was wollen sie, ich denke doch sonst nicht an das, was sie mitteilen, sie sind mir gleichgültig. Gewiss, ich weiß, dass es nicht nur mir alleine so geht, doch dieses Wissen ist kein rechter Trost. Einstmals gab es die Asketen, die sich geißelten, monatelang fasteten und andere Torturen auf sich nahmen, um den „Teufel“ auszutreiben, der sie, so meinten sie, am Stillsein hinderte. Doch es geht hier um keine Mächte von außen, wie immer man sie auch bezeichnen mag, sondern um den eigenen Bewusstseinszustand. Denke oder fühle ich falsch? Will ich etwas erzwingen, was nur erbeten werden kann?

Mitunter kann es geschehen, dass ganz unvermittelt während irgendeiner Arbeit sich mit einem Mal eine tiefe Stille in mir bemerkbar macht. Diese wunderbare Stille! Ich lasse alles beiseite, was ich zu tun gedachte. Eine große, beglückende Freude lässt mein Herz warm werden, wie von Sonnenstrahlen berührt. Und ich muss an eine kleine Erzählung denken, deren Handlung sich kurz nach dem Krieg, als die Städte zerstört waren, zutrug:

Ein Reisender kommt an eine Baustelle, wo viele Männer emsig bei der Arbeit sind. Da werden Steine geschleppt und behauen, Mörtel gemischt, Steine beklopft. Es geht laut zu und die Männer stöhnen und schwitzen – ein hektisches Hin und Her. Man kann noch nicht erkennen, was da entstehen soll, aber man sieht: Hier wird schwer gearbeitet.

Da fragt der Reisende einen Arbeiter, der gerade einen großen Steinblock mit Hammer und Meißel bearbeitet: „Entschuldigen Sie, was machen Sie denn da?“ Der Mann antwortet missmutig, ohne innezuhalten: „Was werde ich wohl tun? Steine klopfen!“

Einige Schritte weiter fragt der Reisende den nächsten Arbeiter: “ Darf ich fragen, was Sie da tun?“ Der hält kurz inne und antwortet – ohne den Fragenden eines Blickes zu würdigen: „Ich behaue einen Spitzbogen.“ Der Reisende geht wieder ein paar Schritte weiter auf einen dritten Arbeiter zu und fragt noch einmal: „Entschuldigen Sie, darf ich fragen, was Sie da machen?“ Der Gefragte hält kurz inne mit seiner Arbeit, blickt hoch und sagt mit leuchtenden Augen: „Ich baue eine Kathedrale.“1

Dieser Mann trug Gott in seinem Herzen, auch wenn er, äußerlich gesehen, nicht immer an ihn dachte. Es war seine Seele, die die Verbindung nicht löste.

Und so bin auch ich voll des Vertrauens, „in der Stille“ und durch sie mit Gott verbunden zu sein. Theresa von Avila (1515 – 1582), die Oberin des Karmeliterordens in Spanien, tröstete ihre Mitschwestern, wenn sie mit diesem Problem zu ihr kamen und meinte: Das ist doch sehr natürlich, dass euer Ich seine Nahrung haben möchte. Gleich Vögeln fliegen die Gedanken ein und aus. Lasst sie es tun, wenn sie es brauchen, nur baut ihnen keine Nester. Wendet euch immer wieder an eure Seele und die Gedanken werden verstummen.

So baue ich meine Kathedrale inmitten der Betriebsamkeit des Ich als unvergänglichen Besitz. Die Kraft hierzu wird mir gegeben, indem ich Seelengemeinschaft gefunden habe.

1 Gekürzt wiedergegeben aus dem Buch: "Vom Duft der Rosenblüte"  und andere Weisheitsgeschichten,  Hrsg. Cornelia Haverkamp
Abbildung: Theresa von Avila

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