
15. Februar 2012 von Amay Franck
Dichtung und Wahrheit
Wie wird eigentlich aus einem gelebten Leben eine erzählbare Geschichte?
Viele Menschen haben das Bedürfnis, eine Biographie ihres Lebens zu schreiben. Eine der berühmtesten Autobiographien ist die von Goethe. Er nannte sie – aus guten Gründen, wie ich meine – Dichtung und Wahrheit. Auch er hat versucht, aus seinem Leben eine Geschichte zu rekonstruieren. Aber wie gelingt dies?
Als ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass dies nur gelingen kann, wenn man bestimmte Begriffe benutzt. Ich kam bei meinen Überlegungen auf folgende Begriffe:
dennoch* trotz* weil* aber* wegen* sondern* doch* deshalb* obwohl.
Man muss nur einen Satz einmal mit „weil“ und einmal mit „obwohl“ beginnen lassen, und schon bekommt man eine andere Lebensgeschichte.
„Weil mein Vater reich war, wurde ich zum Revolutionär“ oder „Obwohl mein Vater reich war, wurde ich zum Revolutionär.“
Das Ausgangsmaterial ist gleich: Ein reicher Vater hat einen Revolutionär zum Sohn.
Was stimmt nun?
Das „Weil“ oder das „Obwohl“?
Was aber bestimmt, ob ich ein „Weil“ oder ein „Obwohl“ wähle?
Oder stimmt beides?
Wer kann dies wissen?
Weiß es der Sohn?
Weiß es der Vater?
Oder jemand anderes?
Und wenn sie meinen, es zu wissen, würden sie nach einiger Zeit noch die gleiche Antwort geben?
An diesem Punkt meiner Überlegungen angelangt, frage ich mich, ob es nicht ausreicht zu sagen: „Ein reicher Vater hat einen Sohn, der Revolutionär ist“?
Was würde es bedeuten, wenn ich kein „weil“, kein „obwohl“, kein „trotzdem“ verwenden würde?
Was würde das konkret für meinen Alltag bedeuten?
Urteile, Bewertungen, Hypothesenbildungen über Ursache und Wirkung würden sich von selbst verbieten. Sie sind ohne „weils“, „alsos“ und „obwohls“ nicht formulierbar!
Ich käme dann dem nahe, was Krishnamurti -sinngemäß- so formulierte:
Ich habe nichts dagegen, dass es so ist, wie es ist.
Abbildung: Gemälde von Esteban Murillo
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