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21. November 2007 von Bettina Löber

Begegnung mit Suhrawardi

Vor etwa zehn Jahren kam es zu meiner ersten Begegnung mit Schihab ad-Din Yahya as-Suhrawardi (1153-1191). Sie hätte auch schon viel früher stattfinden können, denn während meines islamwissenschaftlichen Studiums war immer wieder von „Suhrawardi maqtul“, dem „getöteten Suhrawardi“ die Rede. Mit diesem Beinamen wird darauf hingewiesen, dass er 1191 auf Befehl des berühmten Saladin nach einiger Zeit in Kerkerhaft umgebracht wurde.

Vor etwa zehn Jahren war offenbar die Zeit reif für die Begegnung. Eine entsprechende Seelenschwingung war die Voraussetzung: ein intensives inneres Verlangen nach dem Licht der einen Wahrheit. Suhrawardi sagt selbst in einem seiner Werke:

Unsere Erörterungen in diesem Buch wenden sich nur an den Strebenden, der die Erfahrung des Göttlichen besitzt, oder zumindest an den Sucher, der diese Erfahrung anstrebt. Die minimale Voraussetzung, die vom Leser verlangt wird, ist, dass der Strahl des göttlichen Lichts bereits zu ihm gelangt ist und dass diese Berührung in ihm ein bleibender Zustand geworden ist.

Was nun folgte, waren neun Jahre, die man als meine „Suhrawardi-Phase“ bezeichnen könnte. Wie gut ist es, immer wieder über den Tellerrand hinauszuschauen! Die eine Wahrheit ist eben wie ein Kristall, und wenn wir ihn von verschiedenen Seiten betrachten, leuchtet sie in immer neuer Schönheit in unserem Innern auf.

Äußerlich faszinierte mich die Entdeckung, dass es im esoterischen Islam dieselbe universelle Weisheit gibt wie im spirituellen Christentum. Dogmatische Grenzen und Konflikte haben mit Macht (und letztlich mit Angst) zu tun, nicht mit Wahrheit. Aus seiner inneren Erkenntnis heraus kommt Suhrawardi zu Äußerungen über Christus, wie sie auch in den apokryphen Schriften der ersten Jahrhunderte und im Johannes-Evangelium zu finden sind. Er sagt:

Jesus wird „Geist Gottes“ genannt, und außerdem nennt man ihn „Wort“. (…) Die adamitischen Menschen sind alle von einer Art. Jeder, der „Geist“ ist, ist auch „Wort“, ja, beide Begriffe bezeichnen eine Wirklichkeit und Essenz in dem, auf den sie sich beziehen.

In seiner allegorischen Erzählung „Das Rauschen der Flügel Gabriels“ geht er näher auf die Bedeutung des „Wortes“, des Logos ein. Er schildert, wie die göttliche Schöpfung sich aus dem Licht der Lichter entfaltet:

Wisse, dass der Höchste Gott eine bestimmte Anzahl von Höchsten Wörtern hat, die aus dem Licht Seines erhabenen Gesichts hervorkommen. Diese Wörter formen eine hierarchische Ordnung. Das Erste Licht, das hervorkommt, ist das höchste Wort, denn kein anderes Wort ist mächtiger. Seine Beziehung zu den anderen Wörtern hinsichtlich des Lichts und der Erhabenheit ist wie die der Sonne zu den anderen Sternen. Aus dem Strahl dieses Wortes kommt ein anderes hervor und so weiter, von einem zum anderen, bis die vollkommene Zahl erreicht ist. Dies sind die Vollkommenen Wörter./I]

Faszinierend ist außerdem, dass Suhrawardi einen Lichtfaden von Zarathustra und Hermes Trismegistos über Plato und die griechisch-hellenistische Philosophie bis in seine Zeit spannt. In all diesen Verkündern religiöser oder philosophischer Lehren sieht er vor allem Wegbereiter. Lehre ist nie Selbstzweck, sondern immer Wegbeschreibung für Menschen, die suchen. Seine „Erzählung vom westlichen Exil“ führt die suchende Seele vom Zustand der Finsternis im „Westen“ zurück in den „Osten“, in das Lichtland, das ihre ursprüngliche Heimat ist. Im Zentrum seiner Botschaft steht die Erleuchtung des Bewusstseins, symbolisiert im Aufgang der Sonne beim Morgenrot. Wer diesen Moment innerlich erfährt, beginnt eine Reise der Erkenntnis und der Verwandlung der Seele. Als „Meister der Erleuchtung“ und Begründer der „Schule des Ischraq“ (arabisch für Erleuchtung) ist Suhrawardi noch heute in der islamischen Welt bekannt.

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